Am vergangenen Sonntag (7.2.) sind wir nach Kirchlengern gefahren, um Schlumpfi, den wir jetzt Camillo nennen, abzuholen. Der kleine Hund war uns zu diesem Zeitpunkt als „Angsthund“ beschrieben worden. Daher kurz zur Vorgeschichte: Er irrte irgendwann im Sommer 2015 allein und orientierungslos am Strand in Italien herum. Eine Tierschützerin sah in dort und wollte ihn einfangen. Das wollte er aber so gar nicht. Schließlich halfen nur K.O.-Tropfen, ihn ins Auto zu bekommen. Dann kam er ins Tierheim von Alba. Die ersten Fotos zeigen einen völlig verängstigten Hund. Im Gehege mit einer kleinen Hündin (Silia) ist er dann etwas aufgetaut. Er zeigte so etwas wie Neugierde. Die bezog sich aber nicht auf Menschen. Er ließ sich nicht anfassen und ging Menschen zügig und in großem Bogen aus dem Weg. Er wurde beschrieben als ein Hund, der große Angst vor fast allem hat, besonders vor Menschen. Mehr wussten wir nicht, als wir unseren Kleinen am Sonntag abholten.
Er ließ sich auf dem Gelände von Pro Canalba aus seiner Box holen und genoss den ersten Spaziergang auf der Obstwiese. Dabei hat er sich auch gleich gelöst. Soweit, so gut. Dann das erste Drama: Wir wollten ihm vor Ort sein Sicherheitsgeschirr mit drei Gurten umlegen, das ein Angsthund unbedingt eine Weile tragen sollte. Daran war im Traum nicht zu denken. Der Hund stand – nach mehreren vergeblichen Versuchen – kurz vor dem Kollaps. Hecheln und Todesangst. Das hatte keinen Zweck. In seiner Transportbox, die wir für ihn gekauft hatten, ging es dann am Zweigurtgeschirr mit Leine dran ab in sein neues Zuhause.
Wir trugen die Box mit Camillo ins Wohnzimmer und ließen ihn erst einmal Schnüffeln. Dann wollten wir ihn aus seiner Box lassen. Ein schöner Plan. Doch was dann folgte, war eine Stunden lange Zerreißprobe für unsere Nerven. Jetzt standen wir kurz vor dem Kollaps. Hatte er sich bisher nur verängstigt gezeigt, lernten wir jetzt einen aggressiven Angsthund kennen. Bei jedem Versuch der Box näher zu kommen, knurrte er, fletschte die Zähne und versuchte nach unserer Hand zu schnappen. Ein echter Miniwolf in voller Aktion. Und so sah er auch aus. Gleichzeitig sollte und durfte er unsere Angst nicht spüren. Wir waren willig, aber nicht beherzt genug. Ich habe ihn dann durch die Gitterstäbe aus der Hand mit Frischfutter versorgt. Das ging, denn der Kohldampf hatte die Oberhand. Am Mittag half uns die Tierärztin mit ihrer Helferin ihn aus seinem Gefängnis zu befreien. Er stürmte sofort aus der Box. Von dieser Sekunde an ging es aufwärts. Heute – sieben Tage später – ist von dem „Angsthund“ nichts mehr zu sehen und zu spüren.
Am Montag, Dienstag und Mittwoch haben wir die Handfütterung fortgesetzt. Unsere Bewegungen in der Wohnung wurden von Camillo aufmerksam verfolgt. Wenn wir ihm zu nahe kamen, knurrte er in den ersten zwei Tagen noch. Aber bereits in der ersten Nacht hat er selbstständig sein Körbchen entdeckt und darin geschlafen. In der Wohnung lief er dann an seiner zehn Meter langen Schleppleine immer mehr hinter uns her und erkundete sein neues Heim. Fast stündlich ließ er mehr Nähe zu. Vorsichtiges Streicheln war möglich. Bei der Handfütterung zeigte er sich nicht gierig. Wir konnten ihm beibringen zwischendurch auf Abstand zu gehen und Sitz zu machen. Dann wieder Annäherung und das nächste Lecker aus der Hand. Zwischenzeitlich hatte er sich einmal mit der Leine um ein Möbelstück gewickelt und dabei aus seinem Zweigurtgeschirr samt Leine befreit. Für einen Hund ist es keine Herausforderung, sich von einem Zweigurtgeschirr oder einem Halsband zu befreien. Zwar konnte ich ihm das Geschirr wieder anlegen, doch damit durfte er auf keinen Fall vor die Tür. Natürlich hat er dann irgendwann ins Wohnzimmer gemacht. Die Bescherung haben wir dann mit fröhlicher Ansprache weggemacht. Er schien uns dafür regelrecht „dankbar“ zu sein. Toll fand er es jedenfalls nicht, sein Geschäft hier zu machen. Ein weiterer Versuch das Sicherheitsgeschirr anzulegen, scheiterte am Mittwoch erneut. Camillo war noch nicht soweit. Donnerstag kam dann die Tierärztin mit Helferin wieder. Beide Damen wurden von Camillo freundlich wedelnd begrüßt. Gemeinsam mit Frauchen haben die beiden ihm sein Sicherheitsgeschirr angelegt. Dazu brauchte es tatsächlich sechs helfende Hände. Das Geschirr ist nicht mal eben angelegt, selbst wenn der Hund stillhält. Camillo hat aber vorbildlich stillgehalten. Kein Zappeln, kein Knurren, kein Zähne fletschen – Nichts. Wenige Stunden später ging es dann auf zum ersten Spaziergang.
Wer jetzt glaubt, unser „Angsthund“ hätte Furcht oder gar Panik vor Treppen, der irrt. An der Leine und einer zweiten Leine am Bauchgurt ist er ganz souverän die Treppe rauf und runter gelaufen. In einem Rutsch. Das hätte wirklich niemand vermutet. Draußen läuft er 1a an den Leinen. Kein Hin und Her. Unser halbes Dorf hat der kleine Italiener aus Rom schon fleißig und wedelnd markiert. Schnüffeln und markieren. Das macht ihm Spaß. Vorbeifahrende Autos, parkende Autos, Radfahrer, Kirchenglocken, Hupen, flatternde Vögel, entgegenkommende fremde Menschen Traktoren, Busse oder Müllwagen – für Camillo ist das kein Problem. Er schaut kurz auf und registriert fremde Geräusche. Dann wird wieder weiter geschnüffelt und markiert. An der Leine zieht er auch nicht und passt sich unserem Lauftempo an. Wenn er anderen Hunden begegnet, werden diese bemerkt und über die Nase analysiert. Grundsätzlich scheint er jedoch nach dem Aufenthalt im Tierheim die Nase von seinen Hundekumpels erst einmal voll zu haben. Er zeigt vor den anderen Fellnasen keine großartige Angst, aber auch kein besonderes Interesse. Ich schätze, die waren ihm lange Zeit zu laut mit ihrem Gebell. Er sucht mehr die Ruhe. Die hat er erst nach den ersten Spaziergängen wirklich gefunden. Jedes Rausgehen hat Camillo sichtlich genossen, da die Bewegung so lange gefehlt hat. Er liebt es, an sämtlichen Hecken zu „schubbeln“, besonders wenn sie vom Regen noch etwas nass sind. Mittlerweile geht er drei bis vier Mal am Tag mit uns spazieren. Wir schaffen sogar schon knapp anderthalb Stunden insgesamt. Es schaut so aus, als wäre Camillo bereits stubenrein.
Im Haus betreibt er fleißig Fellpflege. In den ersten Tagen hat er noch Büschelweise Fell verloren. Jetzt nur noch einzelne Haare. Der Stress ist für ihn vorbei. Er ist nicht nur angekommen, sondern ganz zuhause. Das schwarze Fell glänzt. Die Augen leuchten unternehmungslustig. Er kugelt sich ausgelassen über den Teppich, reckt und streckt sich. Zufriedenes Ausatmen. Ausführliche „Maniküre“ und „Pediküre“. Wenn wir still sind, meinen wir ihn glücklich lachen zu hören. Ihn so zu sehen, lässt unser Herz überschäumen vor Glück. Jetzt endlich gönnt er sich auch den für ihn nach der ganzen Aufregung so notwendigen Schlaf zwischen den Spaziergängen. Dann wird wieder eine Runde mit Frauchen und Herrchen geschmust. Camillo lässt sich jetzt gerne ausführlich streicheln und schließt dabei sogar manchmal die Augen. Ja, da kann man jetzt genießen, da kann man sich voll Vertrauen fallen lassen. Unser kleiner, lieber und kluger Hund fühlt sich mit seinem Rudel rundum wohl. Sitz und Platz klappt schon ganz gut. Wenn wir essen, hat er verstanden, das diese Veranstaltung ohne ihn stattfindet. Er bettelt nicht. Auf seinen Namen hört er allerdings noch nicht. Aber was spielt das im Moment für eine Rolle? Jetzt haben wir Zeit. Es gibt für den kleinen Schatz noch so viel zu erkunden, noch so viel zu lernen. Und auch für uns – mit ihm gemeinsam. Nach der ersten super erfolgreichen Woche können wir alles Weitere heiter und gelassen, Schrittchen für Schrittchen angehen. Mit Vorfreude und Spannung.
Unser Fazit: „Wer hat denn Angst vorm Angsthund?“ Wir jedenfalls nicht mehr. Diese wenigen Tage haben uns gezeigt, dass alles möglich ist. Liebe, Geduld und Beharrlichkeit lassen manchmal die reinsten Wunder geschehen. Unser anfänglicher „Angsthund“ hat sich jeden Tag ein Stück mehr verabschiedet. Camillo ist zufrieden, vital und nur noch ganz selten ängstlich. Er schläft gerade selig vor sich hin und träumt vom nächsten Spaziergang. Seine zwei Rudelmenschen können ihr großes Glück kaum fassen. Happy End!
Das kleine Rudel möchte sich noch einmal ganz herzlich beim Pro Canalba Team bedanken. Wir drei sind soooo glücklich. Danke für die Hilfe und Ihre engagierte Arbeit. Wir melden uns wieder und berichten von weiteren Abenteuern ...
Christina & Markus & Camillo