Bericht zum zweijährigen Willkommen von Ennio in Mainz
Bald jährt sich zum zweiten Mal die Ankunft von Ennio in Mainz. Er ist ein gemütlicher Senior geworden, der die Annehmlichkeiten des Ruhestandes zu genießen weiß.
Sobald er morgens merkt, daß ich aufwache, macht er einen mächtigen Satz in mein Bett, um mich mit seiner feuchten Zunge im Gesicht zu schlecken - eine freundschaftliche Geste, die ich in Erinnerung der Dinge, die Ennio tagsüber von Böden und Straßen aufliest, nicht wirklich schätze. Im Gegenzug bekommt er dann sein mittlerweile knautschiges Gesicht gekrault, wird hinter den Ohren gejuckt und - wenn er sich dann auf den Rücken wälzt und gähnend langstreckt - am Bauch gestreichelt. Wenn Ennio dann anfängt zu Niesen, weiß man, daß er sich ganz in Wohligkeit räkelt, was damit endet, daß er sich die Pfoten und mir die Hände putzt.
Sein kleiner Beaglekollege Töpi - der nachts regelmäßig zu meinen Füßen auf einem Kissen schläft - versucht sich meist eifersüchtig dadurch in Erinnerung zu bringen, daß er sich quietschend und knurrend neben Ennio auf dem Rücken wälzt, um auch noch eine kraulende Hand zu erwischen. Der nach dem morgendlichen Begrüßungsritual meist gutgelaunte Ennio schlabbert dann auch noch Töpi ab, der dieser freundschaftlichen Geste allerdings sehr skeptisch gegenüber steht, denn vor Ennio hat er den größten Respekt. Ennio ist für den kleinen Ex-Laborbeagle ein ehrfurchteinflößendes Vorbild, bei dem er außerhalb meiner Wohnung Sicherheit sucht und von dem Töpi innerhalb der Wohnung Distanz hält.
Töpi wagt es nicht, unmittelbar an Ennio vorbeizulaufen. Blockiert Ennio - der ausgerechnet gerne auf dem kühlen Flurboden liegt - einen Durchgang, hört man Töpi zaghaft um Hilfe winseln. Wenn ich dann komme, traut sich der Kleine an Ennio vorbei. Manchmal habe ich den Verdacht, Ennio versperrt ganz bewußt Zugänge zu Wohnzimmer und Küche für Töpi.
Was nach einem problematischen Miteinander klingt, täuscht aber - Ennio akzeptiert Töpi und bleibt friedlich, solange Töpi nicht stört und solange es nicht um Essen geht. Umgekehrt achtet Töpi darauf, daß er immer nochmal übermarkiert, wo Ennio das Beinchen gehoben hat. Manchmal liegen beide aber sogar nebeneinander in einem Körbchen.
Liegt aber der Duft von Futter in der Luft, macht Ennio mit einer Drehung seines Kopfes oder notfalls mit einem Rempler gegen Töpi deutlich, daß dieser sich verziehen soll. Knurrende Drohungen von Töpi zur Verteidigung seiner Leckerlies interessieren Ennio gar nicht. Er drängt Töpt einfach beiseite - das Recht des Stärkeren eben. Töpi verzieht sich daher mit seinen Leckerlies sofort aus dem Dunstkreis von Ennio, und ich halte Ennio möglichst von einer Verfolgung des kleinen Hundefreundes zurück. Letzterer ist aber pfiffig genug, um seinerseits Ennio mit den verschiedensten Techniken von seinem Futter wegzulocken, um dann in einer Blitzaktion, etwas zu stibitzen:
Wenn beide einen sogenannten Kong von mir erhalten, schleckt Töpi seinen schnellstmöglich aus, um dann geradezu provozierend mit seinem Kong im Augenwinkel von Ennio zu spielen. Töpi wirft den Kong hoch, schleckt, spielt in der sicheren Erwartung, daß Ennio sich diese gute Gelegenheit nicht entgehen lassen wird. Kommt Ennio dann heran, saust Töpi los, um sich den mutmaßlich noch halbvollen Kong von Ennio zu schnappen - Töpis Pech, daß Ennio ein echter Schnellfresser ist. Selbst Hundeseis nimmt Ennio gleich in ganzen Bällchen ins Maul und leert Näpfe in Sekunden.
Ennios Essenszeit kommt eigentlich immer abends - pünktlich ab halb sechs wird er unruhig und schaut, ob sich jemand Richtung Küche bewegt. Kommt sieben Uhr herauf, stellt er sich als deutliches Zeichen dafür, daß er den Tagesschlaf beendet hat, vor mich hin. Vergeht erneut eine halbe Stunde ohne Futter, greift Ennio zu noch klareren Zeichen und fängt an, sich an meine Beine zu schmiegen und sich vor mir auf dem Teppich zu wälzen - "Schau nur", will er sagen, "hier spielt ein ganz kleiner Welpe, der dringend Futter zum Wachstum benötigt"! Hilft auch diese augenscheinliche Lüge nicht, stellt er sich erneut auf und klopft mit seinem Schwanz kräftig gegen einen Sessel, um schließlich auch laut zu bellen - spätestens dann wird es Zeit, das Abendessen aufzufahren.
Dieses ist in mehrere Gänge aufgeteilt - zuerst erwartet Ennio seinen gefüllten Napf. Danach werde ich von ihm verfolgt, bis ich seinen Kong mit Krümmelkäse serviere. Danach wird ein Schläfchen eingelegt, um dann erneut bei mir mit deutlichem Schwanzschwingen und Schwanzklopfen vorzusprechen: "Wo bleibt der dritte Gang"? Da er Knabberzeug nicht mehr gut verdaut, gibt es eine Schleckmatte mit gefrorener Leberwurst. Danach fordert er mich mit lautem Bellen zum abendlichen Gassigang gegen ca. 21.30 Uhr auf. Wer ordentlich ißt, muß eben auch mal austreten. Vom Spaziergang zurückgekehrt muß er sich mit einem Hundekeks stärken, um sich dann vor den Kühlschrank zu legen. Dort wartet noch sein Gute-Nacht-Würstchen, das er von meinem Vater bekommt. Wenn dieser nicht schnell genug auftaucht, wird er auch unter Gebell von Ennio zum Kühlschrank gelotst. Dann geht es Richtung Schlafzimmer in sein Hundebett.
Tagsüber denkt Ennio aber offenbar nie ans Fressen - vor dem Abend hat man Ruhe vor ihm. Der Tag wird mit einem Nickerchen nach dem anderen verbracht, einzig unterbrochen durch seine Gassigänge. Jetzt im Sommer fällt ihm der Auslauf angesichts seines dicken Pelzes aber recht schwer, so daß er kurze Runden oder den frühen Morgen bevorzugt. Aber Vorsicht: Schon mancher unbeaufsichtigte Frühstückstisch wurde vom für schlafend angesehenen Ennio in Sekunden abgeräumt.
Beim Spazieren geht er seiner Lieblingsbeschäftigung dem Schnüffeln nach - leider immer auf Suche nach Eßbarem und leider ständig mit Erfolg. Selbst mit größter Aufmerksamkeit schafft man es nicht zu verhindern, daß Ennio blitzschnell in ein Gebüsch vorstößt, aus dem er dann noch ein weggeworfenes Brötchen angelt. Plattgetretene Pommes, vermoderte Wurstscheiben, alte Hühnchenknochen, Reste von einem Picknick - die Stadt ist ein herrliches Sammelsurium von Dingen, die in Ennios Nase feine Köstlichkeiten zu sein scheinen. Selbst aus Erde und Laub gräbt er noch irgendetwas Eßbares aus - was es ist, habe ich bis heute nicht begriffen. Zudem weiß Ennio, Nüsse jeder Art zu knacken. Als ehemaliger Vagabund weiß er, daß es kein hartes Brot gibt - nur kein Brot, ist hart!
Ennio ist eben ein echter Naturbursche, der sich für nichts zu schade ist, der weder Nässe noch Kälte, noch den größten Dreck scheut, der sich auch bei Regen im Gras wälzt und mit Vorliebe auf Garagenböden den Rücken schuppert.
Gesundheitlich machte im Herbst 2021 für Monate eine immer wieder aufflackernder Abzeß an seinem Hals Probleme, der zweimal operiert und mit Antibiotika behandelt werden mußte, um trotzdem jeweils wiederzukehren. Schlußendlich platzte das Gewür endlich von selbst auf und die unbekannte Ursache wurde mutmaßlich ausgeschwemmt. Ansonsten mußte ich angesichts der wenig magenfreundlichen Essensvorlieben von Ennio mehrfach den Kochlöffel für eine Morosche Suppe schwingen. Die letzte Blutwertüberwachung zeigte einige erhöhte Leberwerte, wobei die Ursache ungeklärt ist. Eventuell gibt es einen Zusammenhang zu Ennios Rickettsieninfektion. Er wird mit Kräutertabletten der Tierärztin behandelt.
Ennio ist eine große Hundepersönlichkeit, der regelrecht mit mir spricht - man muß seine Ausdrucksweise nur kennen. Sein Blick hat wahre Seelentiefe und die ganze Familie hofft, daß er nus noch lange erhalten bleibt. Oft denken wir daran, was aus ihm geworden wäre, wenn unser Vorgängerbeagle nicht gestorben wäre - ob Ennio dann noch ein Zuhause gefunden hätte? Das Leid unseres alten Sam wurde jedenfalls zum Glück für Ennio, der ein würdiger Nachfolger ist.