Berry oder Bäri: ein neues Leben
Ein längerer Eintrag ist leider nicht bei pro-canalba angekommen; deshalb wird er hier noch einmal ausgeführt.
10 Wochen schon ist Berry bei uns. Abgemagert, außerordentlich schreckhaft, aber mit einem Funken Hoffnung noch. Berry ist unser 8. Hund, der 2., der aus einem Tierasyl kommt. Nach 3 Jahren ohne Hund entschlossen wir uns, einer kleinen, armen „Hundeseele“ eine neue Bleibe zu verschaffen. Die Wahl fiel ohne langes Zögern auf Berry. Warum? Weil unsere beiden letzten Hunde Setter waren. Ein Hund aus einem Tierasyl ist immer belastet, physisch und psychisch, das war uns schon bewusst. Bei Berry bestand die physische Belastung aus einer Ehrlichiose, Hepatozoon und einem schlimmen Vorbiß. Die Krankheiten bekommt man in den Griff, den Vorbiß nicht. Sei’s drum: Berry ist der „schönste“ Hund, eben mit Vorbiß, seinem besonderen „Charme“!
Nach einem sehr umfangreichen Check in der Tierklinik, bei dem nichts Schlimmeres festgestellt wurde, wurde Berry in seinem neuen Zuhause aufgenommen. Er kannte NICHTS. Nur die Couch im Büro seiner neuen Bleibe hat er sofort freudig angenommen, sie blieb sein Rückzugsort bis heute. Sein Appetit war gross: unsere Aufgabe bestand vorerst darin, Unverträglichkeiten herauszufinden: es gab glücklicherweise keine. Also entschlossen wir uns, Berry 4x am Tag gutes Trockenfutter zu geben, zuzüglich je einer Portion „Gemischtes“ (rohes Fleisch, Fisch in Öl, verschiedene Käsesorten, Haferflocken, Brot, Nudeln, Toasts mit etwas Butter, rohem Pansen, Hundewurst, Hundenaßfutter, getrocknete Kaninchenhaut usw.) Nach etwa 6 Wochen wurden die 4 kleineren Portionen auf 2 größere verteilt. Berry gedeiht prächtig: fast 16 kg wiegt er jetzt, seine „Tasthaare“ sind wieder gewachsen, sein Fell wird langsam dichter und weniger struppig, kurzum: Berry blüht auf!
Seine psychische Belastung bestand vor allem aus einer wirklich enormen Schreckhaftigkeit. Berry kannte anscheinend nur eins: die FLUCHT. Das geringste ihm unbekannte Geräusch, Glockengeläut, Autos, eine Tür, ein Schrank, menschliche Beine, Schuhe usw. veranlassten ihn, reflexartig auf „seine“ Couch zu flüchten, wo er uns mit angsterfüllten, weit aufgerissenen Augen anstarrte. Vorweg: auch nach 10 Wochen bei uns ist die Angst noch immer vorhanden, allerdings wesentlich weniger, vielleicht nur noch zu einem Viertel. Wie wir das hinbekommen haben? Mit seinem Futter, immer an anderer Stelle, bisweilen aus der Hand, manchmal unter einem Tisch, manchmal in der engen Küche, manchmal auf dem Balkon, bisweilen im Spiel.
Was Berry schon am 1. Tag konnte: richtig an der langen und an der kurzen Leine gehen!
Später merkten wir, dass Berry auch das Wiederkommen auf den Pfiff beherrschte. Dass ein Setter Jagdtrieb besitzt, dürfte hinlänglich bekannt sein.
Berry’s Leben 1.0 wird so möglicherweise vor etwa 7 Jahren bei einem Jäger begonnen haben. Reinrassig ist er nicht, womöglich 2/3 Épagneul breton (Bretone) und 1/3 Setter. Hier lernte er das an der Leine Gehen, den Rückpfiff und das Kommando: Bleib! (möglicherweise auch noch andere, wir wissen es nur noch nicht). Was uns schon kurz nach seiner Ankunft auffiel, war seine Vorliebe für gegrilltes Fleisch, hauptsächlich Lammfleisch. Erstmals fiel es uns beim Familiengrill auf, als seine Nase lang und immer länger wurde, zur großen Freude der Enkelkinder. (Kurz vorher entstand das Bild „Bäri“, wie es eines der Enkelkinder in seiner ungelenken Schrift phonetisch sogar nicht ganz falsch betitelte; diesen Namen hat er dann behalten). Wir wohnen am Waldrand mit einem ausgezeichneten Restaurant „so direkt um die Ecke“. Und siehe da: Beim allabendlichen Spaziergang wurde Bäri in der Nähe des Restaurants richtig aufgeregt, seine hochgezogene Nase nahm gierig den Grillgeruch vom fein marinierten Lammfleisch auf und Bäri bewegte sich zielsicher zur Treppe, um zu den Gästen zu gelangen. Von Angst keine Spur mehr. Entweder gehörte dieses Grillerlebnis zum Leben 1.0 (bei seinem ersten Eigner) oder Bäri wurde wegen seines Vorbisses schon vor Erreichen der Pubertät kurzerhand kastriert und dann ins Leben 2.0 (Umherstreunen) entsorgt, wo er sich Nahrung beschaffen musste. Bäri’s zierliche Gestalt und kindliches Wesen deuten auf eine solche frühzeitige Kastrierung hin. Sehr lange mag dieses Leben 2.0 nicht gedauert haben: Bäri fand sich in einem „Canile“ wieder, wo er FÜNF Jahre in seinem Leben 3.0 ausharren musste!
Vor 10 Wochen begann sein Leben 4.0: Bäri hatte sich womöglich aufgegeben. Sein Blick war verzweifelt, traurig und nicht mehr lebensfroh, aber wie gesagt, mit noch einem Funken Hoffnung. Diesen Funken haben wir mit viel Geduld, Zuneigung, Streicheleinheiten, gutem Futter und viel Spazierengehen (3 Stunden am Tag) zu einem dunklen Glühen und dann zu einem richtigen Feuer aus Lebenslust wieder entfacht!
Wo Bäri schläft? NEBEN unserem Bett in einem richtigen Korb mit starrem Rand: damit wir nachts im Bilde sind, was er zu tun gedenkt. Die Vorsicht war überflüssig: Bäri war vom ersten Tag an sauber.
Der Spaziergang führt immer durch das dichte Waldgebiet: Auch der Wald war für Bäri absolut neu. Fließende Gewässer sind ihm ebenso unbekannt. Anfangs trottete er stumm neben uns her, keine Regung irgendwelcher Art. Bellen konnte er auch nicht oder er traute sich nicht. Seine Notdurft verrichtete er nur einmal am Tag mit großer Ängstlichkeit und Unruhe (Leben 1.0 oder 2.0 ?). Seines Jagdtriebes wegen muss Bäri immer an der Leine gehen. An einen Freilauf war erst zu denken, als das hohe Gras im ausbruchsicher eingezäunten Obstgarten kurzgemäht war (der Zecken wegen). Und siehe da: im Nachbargrundstück war ein knurrender Wolfshund. Bäri stellte ihn mehrmals mit lautem Bellen „zur Rede“, um sich dann von ihm zu entfernen. Bäri besaß und besitzt also sehr wohl eine Stimme! Von diesem Tag an freut er sich über seine Stimme, womöglich weil wir auch nichts dagegen haben. Seither fordert er mit kurzem Gebell alle ihm genehmen Hunde zum Spiel auf. Kurzum: Die Lebenslust Bäri’s ist wieder entfacht.