Ganz ehrlich? Ich kann sie hören...Ihr auch? Irgendwo von der anderen Seite der Regenbogenbrücke höre ich die Chefin moppern: "Och nee, Zweibein, lass das! Finger weg von der Tastatur! Du schreibst doch nur wieder irgend so einen rührseligen Kram...sooo peinlich!"
Hmmm, tja...ich schätze, das ist genau das, was ich machen werde - an Tag 3 ohne Chefin. Durchschlafen, nicht mehr das Haus vor Verlassen so sicher wie möglich machen...und genau das und vieles andere ganz schrecklich vermissen.
Azalea - aka die Chefin aka der Woi (weil ihr Bellen mehr wie "woi woi" als "wau wau" klang) - als sie Ende März 2017 bei uns eingezogen ist, hofften wir, dass sie noch 2, vielleicht 3 gute Jahre bei uns haben würde. Immerhin war sie schon 11 und nach einem Leben im Canile brachte sie einige gesundheitliche Baustellen mit.
Daraus wurden nun 5 Jahre und 8 Monate - und die meiste Zeit davon war sie mehr als fit. Lange Spaziergänge waren ganz normal, auch mit 15 noch über Baumstämme springen und ins Auto hüpfen, gar kein Thema. Ihre geliebten, spontanen Sprints (100 Meter oder mehr vorpreschen, umdrehen, High Speed zurück zu uns mit Lachen im Gesicht), Mona im Vorbeigehen eine Pfotenfeige verpassen, weil das freche Ding sie immer über den Haufen rennt. So war Azalea - aber dabei doch immer eher irgendwie subtil, nie laut, nie auffällig, aber eine starke Persönlichkeit, die bei allen Eindruck hinterließ. Ganz besonders übrigens bei unserer Tierärztin, wo sich das knuffige Flauschding in ein Monster verwandelte, ohne Maulkorb ging da nie was... Zugetraut hat es ihr keiner...
An sich hätte sie gar nicht bei uns einziehen sollen - gefallen hat sie uns schon, aber wir wollten ja einem Hund ein Zuhause schenken, den sonst wohl niemand adoptieren würde aufgrund seines Aussehens oder so. Und knuffig wie Azalea aussah waren wir sicher, dass sie gewiss viele Anfragen haben musste. So fragten wir verschiedene, arme Hunde an bei pro-canalba an, aber tatsächlich waren alle die, die wir uns ausgeguckt hatten, bereits angefragt. Umso besser, spricht ja doch für die Menschen.
So fragten wir denn schließlich, welcher mindestens mittelgroße, ältere Hund, der nicht zu unsicher sein durfte, denn noch keine Anfrage habe. Zu unserer großen Verblüffung war unter den Hunden, die wir genannt bekamen, auch Azalea! Nun, die anderen Kandidaten kamen aus verschiedenen Gründen leider nicht in Betracht - und so wurde es Azalea. Ein echter Glücksgriff, wie sich zeigen sollte.
Von Anfang an war sie irgendwie beeindruckend. Ihr ganz neues Leben hier in Deutschland begann sie mit Zurückhaltung und ein wenig Vorsicht - aber ängstlich war sie nie. Autofahren war von Anfang an kein Thema, von Tag eins hüpfte sie ganz selbstverständlich auf die Rückbank und auch wieder raus. Stubenrein war sie gleich. Treppensteigen konnte sie am 2. Tag. An der Leine gehen war neu und sie musste sich dran gewöhnen, es war aber kein großes Problem und das Anziehen des Geschirrs verlief vollkommen undramatisch. Dafür dauerte es fast 2 Jahre, bis sie den Komfort der Hundebetten für sich entdeckte. Drüberlaufen war ok, aber darauf schlafen? Niemals! Und dann...als hätte sie nie etwas anderes getan.
Nach relativ kurzer Zeit war klar, dass sie auch frei laufen konnte: am Jagen war sie nicht im mindesten interessiert, auch nicht an anderen Hunden oder Menschen. Sie machte halt immer so ihr Chefinnen Ding - kam mit allen prima klar, wollte aber bitte bloß keinen engeren Kontakt.
Bürsten ging in Maßen, Kraulen auch - aber auch das wußte sie nach ein paar Monaten doch zunehmend zu schätzen. Eingefordert hat sie es selten. Leckereien dagegen...den bohrenden Blick konnte man schlechter ignorieren als das Tatschen oder Fiepen ihrer Hundekollegen. Und man hatte immer das Gefühl man werde es bereuen, dem Wunsch der Chefin nicht schnellstens zu entsprechen.
Was gar nicht ging war Hochheben...oder am Körper, selbst nur am Geschirr, festhalten. Das löste stets Panikattacken, Geschrei und Beißen aus. Da sie aber nun zum Glück freiwillig ins Auto sprang und Treppen hochging, war das ja auch nicht nötig...außer eben beim Tierarzt. Und als es dann soweit war, dass die alte Dame beim Aufstehen oder bei den ersten Schritten auch mal Hilfe und Stütze brauchte...da ließ sie sich das Aufheben und Anfassen, ja sogar kurzes Tragen problemlos, wie selbstverständlich, gefallen! Das hätten wir niemals erwartet, es machte aber natürlich die letzten Monate doch um einiges leichter und entspannter für uns alle.
Dank Azalea haben wir beiden Zweibeiner beschlossen, uns ehrenamtlich bei pro-canalba e.V. engagieren zu wollen. Beste Entscheidung ever! Tolle Menschen, ein mega Team! Und dadurch fanden noch viele weitere Hunde den Weg in unser Leben: als Pflegehunde (wobei wir 2 mal zu Pflegestellenversagern wurden) und als Hospizhunde, denen wir ihre letzten Monate verschönern durften. Azalea war mit allen cool, ausnahmslos. Und die alte Angel, die wenige Monate nach ihr als erster Hospizhund einzog, schien Azalea besonders zu mögen, nachts legte sie sich fast immer in Angels Nähe, meist mit ihr auf den großen Teppich im Flur, als wollte sie Angel, die nachts oft unruhig war, irgendwie Sicherheit geben.
Etwa um diese Zeit letztes Jahr waren wir sicher, unsere Chefin werde die Feiertage 2021 nicht mehr bei uns sein. Aber in typischer Woi-Manier hatte sie andere Pläne...sie blieb die Feiertage, beging mit uns im März ihren 5. Jahrestag, überstand die heißesten Tage des Sommers ziemlich cool.
Doch nach einer sehr unruhigen Nacht von Donnerstag auf Freitag letzter Woche war uns Freitag morgen klar, dass der Tag gekommen war, an dem wir die Chefin würden gehen lassen müssen. Zum Glück ging es ihr im Laufe des Tages noch einmal besser und so konnte sie, wie sie es zuletzt gerne stundenlang getan hat, Zeit in "ihrem" Garten verbringen, im Gras liegen, vorwärts tapsen, schnuppern. Es gab reichlich Köstlichkeiten und zwischendurch schlief sie entspannt auf ihrem Lieblingsbett unt träumte...ganz offensichtlich von ihren geliebten Sprints.
Am späten Nachmittag wurde es aber wieder schlechter und so war es letztlich doch gut, dass unsere fantastische Tierärztin zu uns kam. Wir hatten Sorge, wie Azalea reagieren würde, aber unsere Tierärztin IST nunmal großartig, verabreichte ihr fast unbemerkt etwas zur Beruhigung, bevor der Katheder gelegt wurde. Alles war sehr friedlich und entspannt, wir Zweibeiner saßen bei ihr, streichelten sie und sagten ihr, dass alles gut werden würde...und so trat die Chefin dann ihre letzte Reise an...um vermutlich direkt nach Ankunft im Regenbogenland dort das Zepter zu übernehmen. Ein wenig leid tun mir Angel, Grol, Bruce, Kronos und der Speckbär, die dort gewiss schon auf sie gewartet haben. Aber - vielleicht ist die Chefin ja dort auch milder gestimmt, genießt es, wieder rasen zu können wie und wann es ihr gefällt - und zusammen mit den anderen zu warten, bis wir uns irgendwann wiedersehen.
Danke für alles, Azalea...run free...