Nachricht von Kurt:
Hallo Leute in "Bella Italia",
es ist echt eine Crux mit dem Schreiben. Sooo lange habe ich es schon vor, aber irgendwie kommt mir immer was dazwischen. Um ehrlich zu sein, Frauchen tritt mir schon seit Monaten auf die Pfoten und erinnert mich immer wieder daran. Aber in den letzten Tagen wird sie echt penetrant, warum auch immer. Sie meint, dass ich nicht gut sehe, sei ja klar erkennbar, aber ich könne mich nicht herausreden damit, dass ich auch nicht gut höre, denn das wisse sie definitiv besser. Nun gut, ich gebe zu, sie hat Recht, ich höre für mein Alter noch spitze, aber manchmal… naja, ihr wisst ja, es gibt Situationen, da hat man keine rechte Lust, gut zu hören. Kommt hinzu, dass ich in letzter Zeit oft müde bin und mich ausruhen muss, und das hat schließlich Priorität. Wenn ich wach bin, muss ich meist Futter organisieren - also nicht wirklich so wie früher oder wie die Streuner, die wir fast alle mal waren. Nein, ich meine, ich muss so eine Art Hypnose betreiben, Frauchen oder andere potentielle Futterlieferanten gefühlt stundenlang mit kugelrundem, durchdringendem Blick fixieren, bis sie es eben nicht mehr aushalten. Traurig ist das, dass ich zu solchen Mitteln greifen muss, aber leider notwendig, weil wir nach wie vor eklatante Meinungsverschiedenheiten haben, was die von mir benötigte Futtermenge betrifft. Ich bin ja angeblich Allergiker, aber das kann doch nicht der Grund sein, mich nicht ordentlich zu ernähren. Als ich hier ankam, war ich um einiges fülliger, ein griffiger Typ eben, aber jetzt bin ich nur noch ein Schatten meiner damaligen Leibesfülle. Das könnt ihr übrigens selbst sehen, wenn ihr die alten Fotos mit neueren vergleicht.
Ich füge mal heute noch welche hinzu. Die sind zwar mehrheitlich vom Sommer, sog. Urlaubsfotos, aber mein Gewicht ist leider immer noch das gleiche. Wir haben nämlich im Sommer die Wohnung gewechselt. Es begann mit einer langen Autofahrt, was ich gar nicht liebe, und nach vielen Stunden machten wir dann halt und gingen in ein anderes Haus. Das einzig Gute daran war, dass es keine Treppen gab, die benutze ich nämlich zu Hause nicht, weil man da durchgucken kann. Wer garantiert mir, dass ich bei meinem Fliegengewicht nicht zwischen den Stufen durchrutsche und mir dabei die Knochen breche? Also in diesem neuen Haus gab es keine Treppen, und so konnte ich meinen Mitbewohnern immer mal einen Besuch in ihrem jeweiligen Schlafzimmer abstatten und kontrollieren, ob alles in Ordnung war. Schön war auch, dass wir so oft zum Wasser gingen und zum Sand. Ich hatte ursprünglich, wie ihr vielleicht noch wisst, mit diesem Element nichts am Hut, aber ich gestehe, dass es mir nach einiger Zeit Spaß gemacht hat, mit den Pfoten durch die Wellen zu waten und dabei den Sand zu spüren. Man muss es ja nicht übertreiben und gleich schwimmen, das haben nur so ein paar verrückte Vierbeiner gemacht, die sich von ihren Herrschaften ständig irgendwelche Wasserspielzeuge haben werfen lassen, um sie dann rauszufischen. Gefühlt 50mal nacheinander, total bescheuert. Also aus diesem Alter bin ich schließlich raus, ich muss niemandem beweisen, was für ein agiler Typ ich bin, ich überzeuge auch so mit meinen Qualitäten. Und wer unbedingt was ins Wasser reinwerfen will, soll es doch gefälligst selbst rausholen.
Naja, als ich endlich richtig angekommen war, packten meine Herrschaften wieder das ganze Zeug ins Auto, ich musste wieder auf der Rückbank Platz nehmen, und dann ging es die ganze lange Strecke zurück. Den Sinn dieser Unternehmung habe ich bis heute nicht kapiert.
So was Ähnliches haben die dann im Spätjahr nochmal mit mir gemacht, nur sind sie dieses Mal nicht zum Wasser gefahren, sondern in einen Wald auf vielen Hügeln. Da sind wir jeden Tag im Wald und auf den Wiesen spazierengegangen, und ich konnte in fast unberührter Natur schnüffeln wie selten in meinem Leben. Das war auch nicht schlecht, zumal ich auch hier immer überall dabei war. In dem neuen Haus waren allerdings Treppen, die ich auch nicht gehen konnte, das hat die Freude ein wenig geschmälert. Wichtig war aber, dass ich in Küchennähe logiert habe, also jegliche Bewegungen darin im Blick und im Ohr hatte.
Danach war schon fast wieder Weihnachten, das ist ebenfalls ein Event wegen der vielen Leckerli-Geschenke, die ich auspacken durfte. So was kennt man im Canile nicht, zumindest habe ich in all meiner 8jährigen Zeit dort nichts davon mitbekommen. Ich kann mich übrigens kaum noch an all diese Jahre erinnern, obwohl Frauchen meint, das sei die längste Zeit meines Lebens gewesen. Die Zweibeiner müssen anscheinend immer zurückblicken, für mich ist viel wichtiger, dass es mir jetzt gut geht und ich einen schönen Platz gefunden habe. Ach, Leute, ich wünsche euch so sehr, dass ihr – sofern es noch nicht geschehen ist – endlich auch ein Zuhause findet. Glaubt mir, dann habt ihr all die schlimmen Wochen und Jahre im Canile oder im Lager ganz schnell vergessen.
Ich drück‘ euch die Daumen, dass ihr es rechtzeitig schafft!
Ciao
Euer Kurt
Brief von Frauchen:
Während ich diesen Brief schreibe, ist mein Herz schwer, denn es naht der Abschied. Seit kurzem wissen wir, dass unser geliebtes „Bärchen“ an Krebs erkrankt ist und nicht mehr lange leben wird. Es ist immer bitter, wenn man sich von seinem Gefährten trennen muss, aber wenn es sich um einen solch lieben, braven und durch und durch guten Hund handelt, der zudem den weitaus größten Teil seines Lebens unter erbärmlichen Bedingungen vegetieren musste, dann ist der Abschied besonders schlimm.
Nach 8 Jahren Haft in einem Canile kam er vor knapp 2 Jahren fröhlich an und gliederte sich schon am ersten Tag in die Familie ein. Er ist verträglich mit allen Hunden und lieb zu jedem Menschen. Wer zu Besuch kommt, bemerkt ihn kaum, gebellt hat er in all der Zeit nur zweimal, als er beim Spaziergang von aggressiven Hunden angegangen wurde. Bei Freunden ist er ebenso beliebt wie bei den Tierärzten, denn es käme ihm nie in den Sinn, irgendeine Form von Aggression zu zeigen. Es entspricht eben nicht seinem friedfertigen, freundlichen Wesen.
Im Alltag ist er ebenso pflegeleicht wie im Urlaub, er passt sich an, macht alles mit und kann sogar stundenlang alleine bleiben (was natürlich nur im Ausnahmefall geschieht). Mit einem Wort: er war und ist ein Vorzeigehund.
Wie sehr hatte ich mir gewünscht, dass er noch lange bleiben könnte, habe ihn aufwändig gegen die großen und kleinen Lädierungen behandeln lassen, die sein entbehrungsreiches Leben seinem Körper zugefügt haben.
Wenn ich etwas bereue, dann dies: dass ich ihn nicht schon früher zu mir geholt habe.
Negative Erfahrungen mit einem früheren Hund aus einer Tötungsstation, seine etwas dürftige Beschreibung und fälschliche Bezeichnung als „XXL-Hund“ (er gilt nach normalen Maßstäben als mittelgroßer Hund) und die nicht gegebene Möglichkeit, ihn zunächst als Pflegehund aufzunehmen, ließen mich lange zögern; ich konnte ja nicht ahnen, welches Juwel in diesem braven Straßenhund mit dem ursprünglichen Namen „Potassio“ steckt.
Noch immer freut er sich über Futter jeglicher Art, zumal sein Appetit durch die verordnete Gabe von Cortison noch größer ist als früher. Mit Wonne verspeist er alles, was ihm gereicht wird oder in seinem Napf landet, mitunter führt er zuvor noch einen kleinen Freudentanz auf. Jetzt, da seine Tage gezählt sind und eine Heilung nicht möglich, bekommt er viele Leckereien, die ihm auf Grund seiner ausgeprägten Allergie verwehrt waren. Die Spaziergänge sind beschwerlich geworden, er hat nahezu das Tempo einer Schnecke angenommen, schnüffelt aber dennoch am Wegesrand, wenngleich weniger intensiv und begeistert als früher. Eine Herausforderung – vor allem für mich – sind die Nächte: ab Mitternacht etwa muss er im schlimmsten Fall jede Stunde nach draußen, denn er hat Durchfall. Ich öffne ihm die Terrassentür und warte, bis er wieder aus dem Garten zurückkommt. So lange er nicht erkennbar Schmerzen hat, so lange er noch Zeichen von Lebensfreude zeigt und sich nach Einnahme seiner Mahlzeiten wohlig grunzend in sein Bettchen kuschelt, so lange werde ich ihn begleiten. Er hat es verdient.